heute wird der jährliche lagebericht zu häuslicher gewalt vorgestellt (die zahlen sind wieder gestiegen, surprise) und ich muss daran denken, dass 99% der betroffenen, die ich bei trennungen begleitet habe, keine anzeige erstatten&nicht in dieser statistik auftauchen.das dunkelfeld ist enorm groß.
warum machen das betroffene nicht? es ist komplex, ein paar gedanken dazu: viele betroffene haben kaum ressourcen.sie müssen nach der trennung ihr leben organisieren,sich vom trauma erholen,wohnungen finden, im frauenhaus zurecht kommen, ihre kinder versorgen, evtl jobs suchen, schlicht ÜBERLEBEN 2/
einige haben kein vertrauen in die polizei, weil sie selbst oder freund*innen und bekannte bereits die erfahrung machen mussten, dass sie nicht ernst genommen werden, dass sie misogyne fragen beantworten mussten, dass es zu täter-opfer-umkehr gekommen ist.
viele betroffene haben große angst (berechtigt) vor der rache des expartners, entweder durch gewalt an ihnen oder an ihren kindern. durch "ich nehm dir die kinder weg", durch "ich mach dir dein leben zur hölle". die trennungssituation ist ein hochrisikofaktor für femizide.
viele betroffene wollen ihren expartner nicht anzeigen weil sie nicht wollen, dass er strafrechtliche probleme bekommt, weil sie sich schuldig und verantwortlich fühlen, weil sie beispielsweise nicht möchten, dass der vater ihrer kinder stress mit der polizei bzw staatlichen behörden hat.
scham, schuld und misogyne strukturen spielen zusammen. mehr öffentlichlichkeit für das thema, echte unterstützung bei trennungen, spezialisierte und fortgebildete staatliche institutionen würden schon mal weiterhelfen. die umsetzung der istanbulkonvention! am wichtigsten immer wieder: prävention.
Und dem Umfeld, was selbst offensichtliche Anzeichen ignoriert.
Ich habe ne Weile geforscht, wo hier jemand seine Frau/Kinder ständig anbrüllt.
Entpuppte sich als Fan von Videospielen, der mit Kopfhörer nicht so ganz seine Begeisterung kontrolliert.
🥴
Okay, da würde ich nicht sofort zur Polizei laufen, sondern erst mal mehrere Erkenntnisse einholen. Aber insgesamt gilt lieber einmal zu viel, die Polizei gerufen als zu wenig.
War übrigens auch mal ein ganz großes Thema der Pandemie. Anstieg der häuslichen Gewalt weil Lockdown.
Heute wieder ein Randthema. Hat man damals auch nur als Argument gegen Maßnahmen gebraucht, interessierte in Wirklichkeit überhaupt nicht.
Eigentlich müsste es eine Möglichkeit geben, auch diese Fälle in die Statistik zu bekommen. Häusliche Gewalt sind ja nicht zwingend Polizeieinsätze oder Anzeigen.